Sein Kopf hängt noch tiefer als all unsere Schultern zusammen. Sein Kinn berührt fast den ersten Knopf seines gepunkteten Hemds. Hatte ich das noch in unserer Wohnung für ihn gebügelt? Zwischen den lauten Ansagen und dem kollektiven Geplapper der Flughafenbesucher, kann ich sein Schniefen immer wieder hören. Oder bilde ich mir das nur ein?
Seitdem wir im Parkhaus aus dem Auto gestiegen sind und die Koffer aus dem Kofferraum gehoben haben, hat er mir nicht mehr in die Augen gesehen. Irgendwie erinnert mich das Alles an Kings The Green Mile, fraglich ist nur wer hier den armen John Coffey spielt.
Langsam realisiere, dass ich das ich hier wirklich durchziehe. Ich lasse alle diese Leute, meine Familie, meine Liebe zurück, um auf eine Insel zu ziehen und den Kopf mal frei zu bekommen. Mit jedem Schritt meiner traurigen Tanzgruppe, wird der Kloss in meinem Hals dicker, das Fragezeichen in meinem Kopf größer und mein Mut kleiner.
So lange ist es noch garnicht her. Alles war normal. Wohnung, beschissener Job, Er und ich. Bis ich beschlossen habe meine Midlifecrisis vorzuverlegen.
Der Entschluss war schnell gefasst, alles war noch viel schneller besprochen und der neue Job fast noch das Einfachste. Bis zu dem Moment, in dem ich den Vertrag vorliegen hatte, hatte nur niemand geglaubt das die Nummer hier wirklich steigen würde.
Danach ging alles ganz schnell. Innerhalb weniger Tage hatte ich alles erdenkliche gekündigt, mich mit Vodafone gestritten, die Wohnung ausgeräumt und die Katzen untergebracht. Wenn ich daran denke wie die dicke Katze in ihrer kleinen Plastikkiste gesessen und geschrieen hatte, wird mir ganz schlecht. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und mir steigen die ersten Tränen des Morgens in die Augen.
Die Welt bleibt kurz zusammen mit mir stehen
»Guten Morgen«, sage ich um einen möglichst neutralen Ton bemüht und versuche alle Gedanken an Abschied zu verdrängen.
»Einen wundervollen guten Morgen!« erwidert die junge Frau auf der anderen Seite des Schalters fröhlich, nimmt mir den Reisepass aus der Hand und stellt sich auf die Zehenspitzen um mein Gepäck zu inspizieren.
»Zwei Koffer?« fragend blickt sie mich an.
Ne, das sind meine Cousins Ollek und Bollek. Natürlich zwei Koffer, oder meinste ich schlepp den Mist aus Spaß durch diese furchtbar hässliche riesige Vorhölle alias Flughafen?, denke ich, entscheide mich dann aber doch für die gesellschaftlich anerkannte Version: »Ja«.
Das lächeln auf meinen Lippen fühlt sich selbst auf Psychopharmaka angestrengt und aufgesetzt an. Die Frau vom Bodenpersonal scheint es nicht zu bemerken und bedeutet mir die Koffer nacheinander auf das Band zu hieven.
»Der Extra-Koffer macht dann 87,95€. Hier ist ihr Beleg. Damit gehen sie dann da rüber und Zahlen den ausstehenden Betrag«, klärt mich die Frau ganz langsam auf, als wäre ich ein wenig dumm. Man scheint mir also doch anzusehen, das ich beim Drogentest aktuell durchfallen würde.
»Geht klar«, antworte ich und nehme meinen Pass und die kleinen Zettel, die sie vorsorglich zwischen die Seiten gesteckt hat, an mich.
Als ich mich umdrehe steht meine Mutter noch hinter mir. Sie zieht einen Mundwinkel nach oben und versucht sich die Tränen zu verkneifen. Wenn sie sich weiter alles so verkneift, platzt sie noch und wir ertrinken alle in Tränen und Pisse, denke ich.
Auf halber Strecke zwischen Ausgang und Schalter stehen Papa und Er, unterhalten sich und nippen an ihren überteuerten Flughafenkaffees.
Hinter mir läuft das Band an und befördert meine Koffer und damit mein Leben in eine Zukunft weit weg von hier und den Menschen die mir wichtig sind. Fuck was mach ich hier?
Wir machen uns auf den Weg, meine Schulden bei der Airline zu begleichen. Die ersten Schritte funktionieren wie am Schnürchen, bis ich bemerke das mit den Koffern auch meine improvisierten Krücken auf dem Band gelandet sind. Ich habe nichts mehr um mich festzuhalten, nichts um mich festzukrallen und selbst davor zu bewahren einfach zusammen zu sacken. Die Welt bleibt kurz zusammen mit mir stehen. Erst als meine Mama ihre Hand in Meine schiebt und ganz fest drückt, ticken die Uhren weiter und ich fühle mich sicher genug die letzten Meter zu gehen – an ihrer Hand.