Die Wellen schlagen immer wieder – wie die Fäuste von flüssigen Riesen – auf die Insel ein. Sogar der Meeresboden selbst spürt die Erschütterungen des Sturms, unsanft in jedem Stein und jeder Pflanze.

Aus der Ferne betrachtet scheint das Meer zu kochen. Ein wütender Moloch aus Schaum, Wasser und der puren Kraft der Natur.
Nur ein einsamer Schatten, in die Dunkelheit der Nacht gehüllt im Windschatten der Leuchtturmruine, blickt ohne jede Bewegung auf das tosende Meer hinaus. Der Schemen scheint von Wind und Regen unberührt, fast wie eine dämonische Statue, in der Bewegung erstarrt. Keine Regung. Blitze erhellen die Insel für den Bruchteil von Sekunden, wie ein überbelichtetes Standbild.

Keine Regung, nur das Gefieder in kurzen Momenten vom Licht der Blitze erhellt. Ein Vogel, erstarrt im Schutz der Nacht. Nur ein Paar dunkel Augen blitzten im Feuer des Himmels auf und verschmelzen wieder mit den Schatten, als ohne Vorwarnung der Himmel in einem ohrenbetäubenden Donner explodiert. Der Sturm gibt mit Trommelschlägen den Takt vor.

Caw Caaaaawwwww!

Vor den Klippen der Insel gibt das Meer den Blick auf ein Schiff frei, welches hilflos auf den unbarmherzigen Wellen tanzt. Umher geschleudert und ohne Kontrolle, wie ein Blatt im Wind. Die Scheinwerfer des Schiffs illuminieren die Ladefläche und die erhöhte Kommandobrücke, in einem unnatürlichen Kontrast zur Schwärze des Meers.

»Captain! Captain!«, schreit der erste Maat gegen den Wind, kurz bevor eine riesige Welle über die Reling spült und ihm die Beine wegreißt, als wären es Zahnstocher. Spuckend und nach Luft ringend rappelt er sich auf, klammert sich an der Reling fest und richtet den Blick gen Brücke.
»Die Felsen kommen näher!«

Die Panik in seiner Stimme ist kaum mehr zu überhören. Unausweichlich scheint sein eigenes Schicksal sich vor seinem inneren Auge abzumalen.
Der Captain der Piraten Queen hält das Steuerrad unter Aufbietung all seiner Kräfte mit beiden Händen fest umklammert, versucht gegen die Strömung und die Wellen zu steuern, welche die Sally auf die Klippen der Insel zuschiebt.

»Ich kann sie nicht halten!«, ruft er zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück. Er bemerkt nicht, dass das Meer seinen ersten Maat zu sich holt, hinweg spült in die Tiefe reißt. Die Schreie um Hilfe ungehört und von Wasser erstickt, der letzte Atemzug füllt seine Lungen mit Salz und wirft den leblosen Körper den Felsen entgegen.
Captain Bingham schmeckt Blut, welches sich in seinem Mund langsam und metallisch ausbreitete. Den Biss in seiner Lippe bemerkt er ebensowenig wie den Geschmack seines eigenes Blutes.

Die nächste Welle bricht seitlich über die Fähre hinweg, stärker noch als die Letze und versetzte dem metallenen Rumpf einen Schlag der den letzten verbleibenden Überlebenden zur Seite wirft. Das Steuerrad drehte ohne Gegenwehr nach Backbord durch. Der Kampf ist verloren. Bingham schlägt schwer mit dem Kopf gegen eine Tischplatte und der Schmerz durchfährt ihn, lässt ihn für einen kurzen Moment erblinden. Bunte Flecken tanzen rot und weiß vor seinem inneren Auge. Nun schmeckt er das Blut. Diesmal aber sickert das Rot aus einer großen Wunde an seinem Kopf, über sein Gesicht hinweg in seinen Mund. Er stöhnt und versuchte sich kraftlos nach oben zu ziehen in eine stehende Position zu ziehen. Nach endlosen quälenden Sekunden und mit all seiner verbliebenen Kraft schafft er es schließlich auf beiden Füßen zum stehen zu kommen. In seinem Kopf dreht sich die Welt. Wasser. Nacht. Trommelschläge. Blitze.

Ein Schatten zieht, wie eine entfernte Erinnerung, über das Schiff hinweg, durch seinen Verstand und hinterlässt einen angsterfüllten Schauer auf seiner nassen Haut. Neuerlich bricht eine Welle über die Brücke der Fähre hinweg und offenbart das Ende. Das Ende der Pirate Queen. Das Ende der Clare Island Ferry. Captain Bingham blinzelt ein letztes Mal ungläubig in den Sturm, der Insel entgegen. Der Sturm. Die Nacht. Sein Zuhause. Die Insel. Wasser. Überall Wasser. Trommelschläge. Blitze.
Das Geräusch von Metall auf Fels bricht sich tausendfach als Echo in seinem Kopf. Die Welt wird für einen Moment gleißend Hell und dann für immer Schwarz.

Das Schiff zerbirst ungebremst an den Felsen unterhalb der Leuchtturmruine. Kein Notruf. Keine Hilfe. Keine Schrei. Kein Leben. Die Vorstellung beendet. Der Vorhang aus Regen zugezogen. Nur das Licht eines Blitzes, welches das Gefieder des Vogels erhellt, als dieser sich mit einem ungehörten Ruf von der Klippe ins Dunkel wirf. Eine Krähe die ungesehen in die Nacht verschwindet.
Caw Caaaaawwwww!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.