Der Rucksack liegt mir schwerer auf den Schultern als er sollte. Ich kann kaum glauben das ich nun wirklich einfach alles hinter mir lasse. 

Am Flughafen ist alles wie immer. Die Menschen laufen von einer Seite zur anderen, schauen nervös auf Anzeigetafeln, oder stehen an langen Schlangen an, als gäbe es etwas umsonst. Meine beiden Koffer sind zum Bersten gefüllt und lassen sich von mir langsam über den Marmorboden der Abflughalle in Richtung Schalter ziehen. In einigen Metern Abstand ziehe ich ausserdem ein kleine Traube trauriger Menschen hinter mir her. In meinem Kopf ist alles ein wenig weicher als sonst. Die kleine Pille, welche ich heute Morgen mit dem kläglichen Versuch eines Frühstücks, herunter gespült hatte, drück mir Watte zwischen Hirn und Schädelwand. Sie sorgt dafür das ich nicht im letzten Moment in Panik gerate, alles hinwerfe und abhaue. Nicht schon wieder. 

Vor einigen Jahre hatte ich schonmal hier gestanden. Also, nicht genau an dieser Stelle – eher etwas weiter links. Da wo die sauteuren Handtaschen neben den Groschenromanen liegen. Damals hatte ich eigentlich auch nach Irland fliegen wollen und es trotz Flugangst sogar geschafft meinen Koffer am Schalter abzugeben ohne zu heulen (zumindest nicht zu sehr). Vor dem kleinen Durchgang zu den Gates hatte mich die Panik vollständig gepackt.

Jetzt hängen ihre Schultern ganz schlapp und traurig nach unten

»Nö. Ne. Lassen wir das.« sagte ich und begann mir gedankenverloren mit der Rechten am linken Arm herum zu kratzen. 

»Wat? Ne, mein Freund. Musst du nochmal aufs Klo?« Mein Vater. Pragmatisch wie immer. 

»Och Schatz. Das wird schon.« übernimmt meine Mutter die Rolle der persongewordenen Emotionalität. 

Die Tränen liefen mir nun unkontrolliert die Wangen herunter während ich rückwärts immer weiter vom Security Durchgang wegwandere, »Ich hab echt schiss.«

»Lass uns doch nochmal kurz raus gehen. Dann kannste noch eine rauchen und dich ein wenig beruhigen.« sagt meine Mutter und packt mich am Arm bevor ich auch nur über meine Antwort nachdenken kann. 

Aber auch Zigaretten machen in Momenten totaler Panik nix besser, eher wird einem noch schlechter von dem ekligen Geschmack im Mund. Wer auch immer behauptet Zigaretten würden schmecken hat in meinem Realität auf jeden Fall nen Grund sich auch nen Hirntumor kontrollieren zu lassen. 

Wenige Minuten später – die zweite Zigarette bereits im zitternden Mundwinkel – gehe ich die ganze Sache nochmal rational durch. Zumindest versuch ich’s, mit der Rationalität meine ich. Was kann schon schiefgehen? So ziemlich alles! Mein Kopf schreit und projiziert mir in den schillerndsten Farben Flugzeugabstürze auf die Hirnhautrinde. Inklusive Feuerbällen, an denen sich Rammstein noch eine Scheibe abschneiden kann. 

»Ich denk wohl nicht.«. Ich drücke die Zigarette hektisch aus. 

»Wie bitte?«

»Ja, ich denk wohl nicht. Wir fahren jetzt. Bitte.«, wiederhole ich meine Aussage von eben 

»Chris…«

»Ne!«, unterbreche ich meine Mutter wüst. Mein Vater hat sich bereits wieder weggedreht. Die dicke Ader an seiner Schläfe kann ich trotzdem pochen sehen. # »Warte mal!«, ruf meine Schwester uns nun hinterher, als ich bereits wieder auf dem Weg zum Gepäckschalter bin um unter Tränen meinen Koffer wieder auszulösen.

»Was?«

»Da hinten is ein Fundbüro«, sie zeigt mit ausgestrecktem Arm auf das minimal aufdringliche Neon.Hinweis-Schild neben uns, »vielleicht finden wir da ja deine Eier?«

Jedenfalls endete der Abend mit mir auf dem Rücksitz meiner Eltern und nicht im dem zum Absturzverdammten irischen Billigflieger. 

Mama, Papa und Er haben mich an den Flughafen gebracht, um mich zu verabschieden, in mein neues, temporäres Leben. Jetzt hängen ihre Schultern ganz schlapp und traurig nach unten, als würde die Schwerkraft nur auf ihre Arme wirken, oder als würde jeder einzelne von ihnen mein schweren Rucksack schon seit Monaten tragen. 

Ich beiße mir auf die Unterlippe um die Traurigkeit in mir selbst davon abzuhalten in dicken Tränen aus mir raus zu kullern.