Väter sind eine Sache für sich. Gerade zwischen Vater und Sohn entstehen im Verlauf des Zusammenlebens immer wieder Reibereien. Das ist vollkommen normal. Zumindest soweit wenn man »Normal« normal definiert, aber vor allem ist es nicht weiter verwunderlich.

Ich könnte natürlich an dieser Stelle Vergleiche zum Tierreich heranziehen, aber das lassen wir besser. Wobei erwähnt sein sollte, dass Löwenmännchen die Jungen ihrer Rivalen auffressen.

Nach der Eroberung eines Rudels tötet der Eroberer alle Jungen seines Vorgängers, um sein eigenes Erbgut weiterzugeben und nicht die Balgen des anderen großziehen zu müssen. 

– Extrem interessant, hat aber nix mit der eigentlichen Sache zu tun.

Was wollte ich erzählen? Ach ja, Väter.

Das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater wurde auch erst so richtig gut, nachdem ich ausgezogen bin. Vorher haben wir mehr oder weniger Koexistiert ohne uns die Köpfe einzuschlagen – meistens. 

Mein Vater hat riesige Hände was wohl bedeutet, dass ich den Kürzeren gezogen hätte, wäre es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen. Jedenfalls hat mein Vater am Tag meines Auszugs kräftig mit angepackt. Ich unterstelle ihm heute noch manchmal, dass er die Waschmaschine nur hochgetragen hat, damit ich gar nicht erst auf den Gedanken komme meine schmutzigen Klamotten zu Mama zu bringen.

Ich kann mich ganz genau an den Tag erinnern, an dem mein Vater meine neue Küche aufgebaut hat, der alte Heimwerkerkönig. Sein Geschrei, meine vollkommen unqualifizierten Kommentare – hätten die Leute uns sehen können, wären wir im folgenden Jahr für den deutschen Comedypreis nominiert worden. Jedenfalls endete die Szene damit, dass meine Vater mich wutentbrannt  aus meiner eigenen Wohnung warf, nur um weiter fluchend die beschissene Wandstruktur zu verteufeln (Zitat: „So ne Wichse hier!“). Ich bin – aus Ermangelung anderer Fluchtmöglichkeiten – einkaufen gefahren – kann ich eh besser. Irgendwann durfte ich die Wohnung dann wieder betreten und meine funktionstüchtige Küche begutachten. Wie mein Vater es geschafft hatte die Hängeschränke an die Wand zu bekommen kann ich mir bis heute nicht erklären. 

…denn wenn er etwas nicht kaufen konnte, dann machte er es einfach selbst

Ich behaupte in solchen Fällen einfach es handele sich um Magie. Das mache ich immer so. Alles was ich mir nicht erklären kann ist für mich erstmal Magie. Weshalb mir der Physikunterricht immer eher wie „Verteidigung gegen die dunklen Künste“ vorkam. Damit wäre mein Vater wohl 50% der Zeit ein Magier für mich. Und das ist er wirklich – was der alles so „zaubert“ ist manchmal schon verblüffend, allerdings auch ein wenig verstörend. Ein Beispiel dafür wären seine fragwürdigen Baukünste.

Meine Eltern kommen aus dem Osten. Genauer gesagt aus Erfurt in Thüringen, also nicht ganz so dunkel und ahnungslos, wie man meinen würde. Aber auch Erfurt war DDR, ergo umzäunt. Daraus schließen wir, dass es auch in Erfurt nicht immer Alles gab und man schon gar nicht Alles bekam was man denn so haben wollte. Davon ließ der geneigt DDR-Bürger sich aber nicht abhalten, denn wenn er etwas nicht kaufen konnte, dann machte er es einfach selbst. 

Heute gibt es alles – mein Vater macht es aber trotzdem lieber selbst. Kosten <> Nutzen – ihr versteht. Ob nun Wanddurchbruch, Auto- und Fernsehreparatur, Laminat verlegen, verputzen, Badezimmer renovieren, Pools bauen, Holzöfen anschließen (der Garten meiner Eltern beherbergt einen Holzvorrat der für den Bau der Titanic im Maßstab 1:1 ausreichen würde, inkl. lebensgroßer Molly Brown, Leo und der unheimlich rothaarigen Kate), Rückentrainings entwickeln oder Lattenroste aus Kellerschrott improvisieren. Ganz egal, mein Vater klöppelt das schon. Was mir natürlich schon die eine oder andere Handwerkerrechnung erspart hat. Da will ich mal nicht meckern.

Vor einigen Jahren haben meine Eltern ein Boot gekauft. So ein Kleines mit winziger 2-Personen-Kajüte und Außenbordmotor. Nebenbei ist mein Vater also auch noch Kapitän.  Auch hier hat er wieder allerhand selbst zusammengezimmert. Besonders seine Fürsorglichkeit, was die Unterbringung des Kahns betraf hat sämtliche Grenzen meiner Vorstellungskraft gesprengt, denn mein Vater beschloss kurzerhand einen Carport zu bauen … aus Müll. Gelegen kam ihm dabei der Abriss des Nachbarhauses, bei dem alle Dachbalken und verwendbaren Materialien vom Schutthaufen direkt in unseren Innenhof gewandert sind. 

Nach mehreren Wochen stand kein einfacher Carport, die Art die man für einen guten deutschen Mittelklassewaagen benötigt, sondern ein verdammter Ballsaal. Wenn die Wohnräume meines Elternhauses nicht erst auf einer Bodenhöhe von 1,75m beginnen würden, hätte er für die Parterre-Bewohner (meine Schwester) die Sonne verdunkelt. 

Nicht, dass ihr jetzt denkt er zimmert da Müll aus Müll zusammen – ganz und garnicht! Er kreiert aus Müll Lösungen für die Ewigkeit – dieser Carport wird uns alle überleben und noch vielen Generationen nach uns Unterschlupf für Ihre Boote, Rinder oder Atom-Hovercrafts bieten.

Manchmal ist mein Vater aber auch Trickbetrüger. Wir wissen nicht genau, ob er das mit Absicht tut, oder es einfach ans dem kleinen Ausspracheproblem bezüglich T, D, B, K und G liegt. Aber für mich ist es eindeutig Bedrug bei „Stadt, Land, Fluss“ die Wortneuschöpfung „Goalla“ als Tier gelten zu lassen. Er meint natürlich diese kleinen grauen australischen Beutelbären, aber diese überzeugende Rechtfertigungsrede, nach Abschluss der Runde, kann nur ein Versuch gewesen sein alle Anwesenden zu bescheißen. Nun gut, sein Bruder – also mein Onkel – hat es in dieser Disziplin noch dicker hinter den Ohren. „Wartehäusschen-Reiniger“ ist nämlich kein Ausbildungsberuf! Nebenbei bemerkt denke ich dasselbe über Bäckereifachverkäuferinnen, aber das ist ein anderes Thema.

Auch wunderbar anzusehen ist die leichte Verwirrung meines Vaters, sobald er einen IKEA-Möbelmarkt betritt. Hier benimmt er sich meist vollkommen untypisch und schaut sich alles in Ruhe an, vollständig fasziniert von all den niedlichen Kleinigkeiten mit dem der gelbe Riese uns die Kohle aus der Tasche zieht. Er kann sich dann sogar an den Kleinigkeiten in der Küchenabteilung erfreuen. Besonders einprägsam war hier ein Erlebnis kurz vor meinem Auszug. 

Wir stehen also in der Küchenabteilung, meine Mutter und ich versuchen herauszufinden welche Tassen wohl am hässlichsten sind, als mein Vater uns aus ca. 8 Metern Entfernung um Aufmerksamkeit bittet, „Hey!“ . Er steht da und zeigt uns freudestrahlend eine Glaskaraffe aus dem Angebotsregal, welche er über seinem Kopf hin und her schwenkt. „Chris! Die brauchst du! Falls du mal Saft machst!“.

Trotz seiner wechselnden Tätigkeit als Magier, Trickbetrüger, Bauherr oder Kapitän (wobei die Grenzen hier verschwimmen und ich fast behaupten würde, das der Begriff Wechselwirkung hier genannt werden sollte) ist er alles in allem – am Ende des Tages – nur eins: Nämlich mein Vater. Und zwar genauso wie ich ihn liebe und wie er im Tuden steht.

Nachtrag: 

In den Jahren, die seit diesem Betrag vergangen sind, hat sich an den Fähigkeiten meines Vaters nicht viel geändert. Er zaubert, er baut, er Betrügt und spricht immernoch von Domaden. Vielleicht macht er die Dinge heute etwas langsamer, aber er tut sie weiterhin. Er genießt das Leben so gut es geht und versucht seine Kinder dazu zu ermutigen so gut zu leben wie es eben möglich ist. Dafür macht er für uns alles möglich. Er schleppt, er baut, er repariert, er ruft nur mal eben an um zu fragen wie es uns geht, er droht Autohändlern mit körperlicher Gewalt, aber vor allem spricht er uns immer wieder Mut zu, lässt uns träumen und beweist uns Tag für Tag das fast nichts unmöglich ist –  und Aussprache nur ein Konstrukt. 

Danke, für jedes B, jedes D und jede Lektion.

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